Der französische Präsident Emmanuel Macron hat im Sept. 2017 an der Sorbonne-Universität eine europapolitische Grundsatzrede gehalten. Es ist nicht erstaunlich, dass die Vorschläge und das Pathos des Präsidenten bei der Europäischen Kommission in Brüssel Gefallen finden: erstens liegen sie ganz auf der Linie der Politik der Europäischen Kommission, zweitens geht er wie selbstverständlich davon aus, dass der geografische Begriff Europa und die Europäische Union identisch sind.
Diese falsche Vorstellung erlaubt, jede Kritik an Brüssel als antieuropäisch zu diskreditieren, als könne es in einem vielfältigen Europa nur eine Perspektive geben, zumal bei näherem Hinsehen die EU gravierende demokratische Defizite besitzt. Die Umsetzung von Macrons Vision würde diese Defizite vergrößern.
Der französische Ministerpräsident Macron vertritt die die Idee des Europas der zwei Geschwindigkeiten. Für Macron stehen auf der einen Seite die Euro-Staaten. Auf der anderen Seite die Staaten der Europäischen Union. Die Kernpunkte seiner Vorschläge sind:
- Ein Euro-Zonen-Budget mit eigenen Steuereinnahmen und einem Finanzminister.
- Eine Europäische Asylbehörde
- Ein gemeinsamer Mindestlohn in allen Euro-Staaten
- Eine gemeinsame Mindestsicherung, wie sie etwa in der Sozialcharta der EU festgelegt wurde.
- Eine harmonisierte Körperschaftssteuer
- Eine gemeinsame europäische Verteidigungsarmee
Zu 1) Macron fordert „einen stärkeren Haushalt“, einen eigenen Euro -Finanzminister sowie eine gesonderte parlamentarische Kontrolle. Ein Euro-Zonen-Budget bedeutet die Haftung der Staaten für die Schulden der anderen Staaten. Das wäre die vertragliche Festlegung und Verstärkung des jetzigen Zustandes. Die Haftung der Staaten für die Schulden der anderen Euro-Staaten führt dazu, dass sich die meisten Euro-Länder leichter verschulden, weil ja ihre Staatsdefizite und Schulden von den anderen Staaten mitgetragen werden müssen.
Wie das Beispiel Griechenland zeigt, hilft eine Fiskalunion den betroffenen Ländern nicht wirklich. Sie hilft den betroffenen Regierungen an der Macht zu bleiben, verbessert aber nicht die Wettbewerbssituation der Volkswirtschaft. Eine solche Fiskalunion führt zu Streit zwischen den Staaten und letztlich zu einem Scheitern der Euro-Währungsunion. Welcher Staat und welche Bevölkerung will ewig als Zahlmeister herangezogen werden? Als wirksame Lösung bleibt nur, dass jeder Staat für seine eigenen Schulden haftet.
Einige Tage vor der Rede Macrons hatte der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits wichtige Forderungen Macrons formuliert, wozu die Berufung eines EU-Finanzministers mit eigenem Budget gehört. Etwa zur gleichen Zeit empörte sich der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici über einen angeblichen Skandal, der darin bestünde, dass die Kreditbewilligung für Griechenland von „Technokraten“ vorgenommen würde und einige Mitgliedsländer in diesen Fragen sogar ihre Parlamente zu befragen hätten. Der Grund für Moscovicis Poltern findet sich darin, dass er das Ziel verfolgt, immer mehr Entscheidungsmöglichkeiten in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik von den Mitgliedsstaaten nach Brüssel zu verlagern, also von demokratisch legitimierten zu demokratisch nicht voll legitimierten Institutionen. Nur allzu deutlich scheinen auch Moscovicis Ambitionen hindurch, der von Juncker gewünschte EU-Finanzminister zu werden.
Die Mittel für das Budget sollen von Mitgliedsländern kommen. Und so sieht es nicht nach einem Zufall aus, dass der französische Präsident wenige Tage später in seiner Rede seinerseits die Einsetzung eines europäischen Finanzministers mit eigenem Budget forderte. Die Frage, wer dieses Budget zu stellen hat, wurde nicht erwähnt, doch am Ende kann es nur aus den Haushalten der Mitgliedsländer kommen. Demnach könnten die Mitgliedsländer der EU 3 bis 4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung jährlich zum Budget beisteuern. Das würde bis zu 43 Milliarden Euro einbringen, von denen Deutschland jährlich circa 30 Prozent zu überweisen hätte: also ungefähr 13 Milliarden pro Jahr, zuzüglich der Gelder, die von der Bundesrepublik bereits jetzt schon zum EU-Haushalt beigesteuert werden. Der Vorschlag ist also letztlich eine mit schönen Worten drapierte kräftige Erhöhung des Budgets der EU-Kommission.
Was Deutschland schon jetzt alles zahlt!
Dazu muss man wissen, dass Deutschland der größte Netto-Zahler der EU ist, auch wenn man alle Summen, die als EU-Förderungen nach Deutschland zurückfließen, von den Beiträgen abzieht. Allein im Jahr 2015 beliefen die sich auf 14,3 Milliarden Euro. Die Kosten werden sich durch den Brexit erhöhen, denn die Briten waren im gleichen Zeitraum mit 11,3 Milliarden Euro der zweitgrößte Nettozahler. Nach heutigem Stand würde die Vision des französischen Präsidenten den deutschen Steuerzahler, konservativ geschätzt, jährlich 27,3 Milliarden Euro kosten. Hinzu kämen 3 Milliarden Euro, die durch den Brexit auf Deutschland entfallen, statt circa 14,3 somit 30,3 Milliarden jährlich.
In diese Schätzung sind nicht eingerechnet die Kredite und Garantien, die für die griechischen Hilfspakete und für den europäischen Rettungsschirm (ESM) gezahlt oder zurückgestellt werden müssen. Ebenso sind in dieser Summe nicht erfasst die diversen Überweisungen, die beispielsweise an die Ukraine oder an die Türkei gehen. Auch nicht mitgezählt sind die Risiken der Target-Salden und die europäische Umverteilung aus den Sozialkassen- und fonds, die im nächsten Schritt kommen sollen. Und das alles vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die durch die Migration bereits jetzt schon zu Buche schlagen.
Weniger Bürokratie durch neue Institutionen?
Zu 2) Mit dem Dubliner Übereinkommen sollte zum einen erreicht werden, dass jedem Ausländer, der auf dem Gebiet der Vertragsstaaten des Dubliner Übereinkommens einen Asylantrag stellt, die Durchführung eines Asylverfahrens garantiert wird. Wichtigste Regel für die Zuständigkeit: Der Staat, in den der Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, muss das Asylverfahren durchführen. Das Dublin-Abkommen hinsichtlich der Flüchtlingsfrage hat sich nicht bewährt. Eine gemeinsame Haltung der EU zur Frage der Migration ist unbedingt notwendig.
Hinsichtlich der Asylpolitik wünscht sich der französische Präsident die Schaffung einer europäischen Asylbehörde. Es steht zu vermuten, dass sie nach der simplen Rollenverteilung funktionieren wird: „Wir bestimmen, ihr zahlt.“Nicht nur, dass eine neue und sehr teure Bürokratie aus dem Boden gestampft werden würde, sie würde de facto die Institutionalisierung der Politik des Durchwinkens bedeuten, weil das Gros der Migranten ohnehin nach Deutschland strebt, wo die Sozialleistungen sehr hoch sind.
Die Schaffung einer EU-Asylbehörde ist abzulehnen.
Emmanuel Macron fordert, dass Europa nicht den „Bürokraten“ überlassen werden darf. In der gleichen Rede will er eine neue und den Erfahrungen nach sehr teure Bürokratien errichten: EU-Finanzminister, mit Ministerium natürlich, und eine EU-Asylbehörde als eine Art Super-Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Macron deklariert das Gegenteil von dem, was er in der Rede vorschlägt.
Macron fordert die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und einer Internet-Steuer. Eine Internet-Steuer wäre eine Steuer für die Nutzung des Internets. Statt das Internet zu besteuern, muss man das Internet fördern. Eine veraltete digitale Infrastruktur gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Für das Internet der Dinge, das autonome Fahren oder den Einsatz von Telemedizin braucht man Übertragungsgeschwindigkeiten im Gigabit-Bereich.
Kämen die Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer dem EU-Haushalt zugute könnte man eher hoffen, dass sie eingeführt wird.
Ein eigenes Eurobudget ist abzulehnen, gleichermaßen ein Euro-Finanzminister und ein Euro-Finanzministerium.
Eine Transaktionssteuer ist Bestandteil des Wahlprogramms der Piratenpartei. Die Einnahmen an dieser Steuer können in den EU-Haushalt fließen, damit alle Staaten an ihrer Einführung interessiert sind.
Eine Internetsteuer wäre ein Steuer auf die Nutzung des Internets. Außer dass eine solche Steuer Einnahmen kreiert, gibt es keine sinnvolle Begründung. Eine solche Steuer ist abzulehnen.
Zu 3 + 4) Ein gemeinsamer Mindestlohn in allen Euro-Staaten, eine gemeinsame Mindestsicherung, wie sie etwa in der Sozialcharta der EU festgelegt wurde.
Ein gemeinsamer Mindestlohn führt bei den Ländern, die in der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht mithalten können, zu erhöhter Arbeitslosigkeit. Macron will diese sozialen Härten ausgleichen über einen europäischen Sozialfonds oder über das Eurobudget. Zahlmeister dieser Sozialunion wären Deutschland, Österreich und Holland. Zahlungsempfänger wären die anderen Länder der Euro-Zone. An dieser Situation würde sich dauerhaft nichts ändern.
Sowohl ein EU-Mindestlohn als auch ein Euro-Mindestlohn wären äußerst problematisch. Die Verantwortung über den Mindestlohn und damit die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft soll bei den einzelnen Mitgliedsstaaten bleiben.
Zu 5) Eine harmonisierte Körperschaftssteuer
Eine harmonisierte Körperschaftssteuer der EU-Länder ist zu begrüßen. Genauso wichtig ist die Schließung von Steueroasen.
Der ESM-Vertrag hat jetzt bereits das Königsrecht des Parlaments ausgehöhlt, nämlich die Herrschaft über den Haushalt. Das ungewöhnliche Pathos des Präsidenten verrät, dass sich die EU auf dem Weg in einen bürokratischen Zentralstaat befindet, mit dem ein Weniger an Demokratie verbunden sein wird. Zu bezahlen haben die von Macron versprochene lichte Zukunft gerade die jungen Menschen.
Zu 6) Auf dem Feld der Verteidigungspolitik spricht sich Präsident Macron für ein gemeinsames europäisches Verteidigungsbudget aus. Die Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik soll auch auf die Kooperation bei der Terrorbekämpfung ausgedehnt werden.
Die Schaffung einer europäischen Armee mit eigenem Verteidigungsbudget ist nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der Nato gedacht, selbstverständlich auch sie mit eigener Verwaltung. Dazu wünscht sich der Präsident eine „europäische Staatsanwaltschaft“, einen europäischen Zivilschutz – alles neue Ministerien, die auf EU-Ebene entstehen sollen und die die Ministerien in den Mitgliedsländern zu Regionalverwaltungen herabstufen werden.
Die Staaten, die an diesem Projekt teilnehmen wollen, haben sich schon auf einen Wert ihrer Militärausgaben auf mindestens 2% des Bruttoinlandprodukts geeinigt.Frankreich ist eine ehemalige Kolonialmacht. Für Frankreich läge der Vorteil einer Europäischen Verteidigungsarmee darin, dass sich die anderen Teilnehmer an Einsätzen in Afrika beteiligen müssten. Die Europäische Verteidigungsarmee soll eng mit der NATO zusammenarbeiten Im militärischen Bereich herrschen klare Kommandostrukturen. Das bedeutet, die NATO, und damit die USA, geben vor, was zu tun ist. Die Teilnehmerstaaten der Europäischen Verteidigungsarmee werden folgen müssen.
Eine eigene europäische Armee ist abzulehnen. Die Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik ist zu begrüßen.
Für Deutschland muss der Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages erhalten bleiben. Die Militärausgaben Deutschlands dürfen 1,3% des Bruttoinlandprodukts nicht überschreiten. Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland darf nur im Rahmen eines UN-Mandats erfolgen.
Die Europa-Vorstellungen des EU-Kommissionspräsidenten Juncker: Im Prinzip sind alle EU-Staaten außer Schweden und Dänemark verpflichtet der Euro-Zone beizutreten. Um die unterschiedliche Entwicklung und den Graben zwischen EU-Staaten und Euro-Staaten zu vermeiden, will Kommissionspräsident Juncker die Eurozone um die EU-Staaten erweitern, die jetzt dazu bereit sind. Das sind im Augenblick Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Da die Wirtschaft dieser Staaten nicht konkurrenzfähig ist, würden diese Staaten gleich in eine wirtschaftliche Schieflage gelangen, die umfangreiche Subventionen der anderen Staaten erfordern würden.
Ein Zugang zur Euro-Zone darf nur für die Staaten gelten, deren Wettbewerbsfähigkeit längerfristig absehbar ist.
Martin Schulz will bis 2025 die Vereinigten Staaten schaffen. Wer jetzt eine europäische Verfassung fordert, ist entweder naiv oder verantwortungslos. Die europäische Idee darf nicht überfrachtet werden. Martin Schulz tut genau das. So ruiniert man Europa.
Selten lagen gut gemeint und schlecht gemacht so nahe beieinander, die Europäische Union in die Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umzuwandeln. Forderung: „Wer dieser Verfassung nicht zustimmt, muss die EU verlassen“. Wenn dieser Vorschlag umgesetzt würde, ginge ein Riss durch Europa, der das Ende des gemeinsamen Europas bedeuten würde.
Es gab schon einmal einen Verfassungskonvent, der einen Verfassungsvertrag ausgehandelt hat. Der sollte dann in den Mitgliedsländern ratifiziert werden. Die Umsetzung scheiterte unter anderem daran, dass sich die Franzosen in einer Volksabstimmung im Jahr 2005 dagegen entschieden haben. Von diesem Schock hat sich die EU in Wahrheit bis heute nicht erholt. Auch deshalb wird in den europäischen Hauptstädten klugerweise nach Möglichkeiten gesucht, die nötigen Reformen in Europa voranzutreiben, ohne dass dazu Änderungen der europäischen Verträge nötig sind, und schon gar keine Volksabstimmungen. Die Erfahrungen mit solchen Befragungen waren nämlich zuletzt – siehe Brexit – sehr ernüchternd.
Macron opfert den europäischen Träumen zuliebe die Wirklichkeit.
Bei ihm ist „Neugründung Europas“ als ein Europa der Bürokratie, der Zentralisierung und des Demokratieverlustes konzipiert. Wie passt Macrons Forderung, Europa nicht den Bürokraten zu überlassen, mit der Schaffung neuer Bürokratien zusammen? Sind Bürokraten immer nur die anderen? Und sind die „Technokraten“ der EU keine, weil sie für die EU arbeiten? Ist ein eingesetzter Kommissionspräsident, der von den Regierungschefs der Mitgliedstaaten ausgehandelt wurde, nicht im Wortsinne auch ein Technokrat?
Schaut man sich die europäische Realität an, kann man durchaus zu anderen Befunden kommen, als dass Brüssel mit Europa identisch wäre. Man kann durchaus befürchten, dass die vorangetriebene „Vertiefung der EU“ zur vertieften Spaltung Europas führt. Es geht doch nicht darum, den Bürger mitzunehmen, wie neuerdings Politiker in paternalistischer Selbstüberhebung immer öfter äußern. Die Bürger sind keine bockigen Kinder, sondern sie sind der Souverän. Es geht vielmehr darum, die Bürger zu fragen, ob sie überhaupt das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa wünschen.
Aus Emmanuel Macrons Satz: „Ich habe keine roten Linien, ich habe nur Horizonte“ spricht eine Absage an die Realität. Wer keine Grenzen mehr kennt und in Horizonten schwelgt, der opfert den Träumen zuliebe die Wirklichkeit. Was unser guter, alter Kontinent braucht, ist nicht eine Häutung der Technokratie, sondern eine Stärkung der Regionen und Länder, eine Vertiefung der Demokratie, nicht eine Zentralisierung der Macht. Ein Zentralstaat Europa wird nicht gelingen. Ein föderatives Modell, das die Regionen und Länder verbindet, dagegen schon. Das Besondere Europas liegt in der Vielfalt der Kulturen, oder wie die Engländer es ausdrücken würden, in der „Variety in Unity“, der Vielfalt in der Einheit.